Zur Ausstellung „raumreisend“ von Ernst-Martin Heel

    Mit seiner Ausstellung fordert Ernst-Martin Heel uns auf, durch den Raum seiner Bilder zu reisen und damit die Vielfalt der Räume um und in uns zu erkunden. Die expressive Malerei des Künstlers entwirft in den zahlreichen Durchblicken der Galerie aus verschiedenen Entfernungen und Perspektiven stets neue Reize, denen wir von oben nach unten nachgehen.

    In einer frühen Arbeit aus dem Beginn der 1990er Jahre steigen wir über das metallene Gestänge einer Leiter durch eine von Fensterspiegelungen sparsam akzentuierte Dunkelheit geradewegs in den Himmel, ohne dass der „Stairway to heaven“ uns eine Vorstellung geben, wie es dort sein könnte.

    Die kleinen kugeligen Elemente, die das Bild in Bewegung bringen, finden wir in vielen anderen Werken Ernst-Martin Heels wieder, so in dem „Ation-Triptychon“ (2010), dessen violette Palette mit Ockerkontrasten betont wird. Die Komposition spielt mit weiteren Gegensätzen wie mit Horizontalem und Vertikalem, Ballung und Zerstreuung.

    Ausgehend von einem momentanen Impuls, die ein Anblick oder eine Lektüre auslösen können, legt der Künstler viele lasierende und zum Teil pastose Schichten auf die Leinwand,

    beobachtet in den allmählichen Trocknungsprozessen der Ölfarben ihr Zusammenspiel und ihre Oberflächentexturen, mildert und stärkt Effekte bis zu einem unwillkürlich sich einstellenden Abschluss.

    Im großen Grünblau („Greenshot“, 2014) werden wir von einer Rotation angezogen, als tauchten wir in einen Wasserstrudel, und im „Azur“ (2007) versinken wir inmitten der dunklen See in eine hell gleißende Unterwasserstadt mit zarten Stalaktiten, die von Schneckenhaus- und Ammonitenkuppeln gekrönt werden.

    Die runden Variationen entstehen durch eine spezielle Wischtechnik, die der Künstler mit verschiedenen Stoffen über die Oberflächen zieht, manchmal fest in die Farben hinein, manchmal locker auf die Grundierung verteilt wie bei dem „Idol“ (2013), das uns an ein Astloch im Baumstamm erinnert, dessen Segmente sich nach außen fortsetzen, während sich im Zentrum ein Blick in die Tiefe öffnet, in der wir vielleicht dem Geist der Schöpfung näherkämen oder einer Gottheit ein Denkmal setzten.

    Eine religiöse Thematik können wir – wenn wir wollen – aufnehmen im „Dom“ (2014), in dem eiskalt ultramarine Säulen vor finsteren Hintergründen um eine sich drehende Mitte herabgleiten wie Schlieren auf einem beschlagenen leuchtenden Fenster. Beim Herantreten unterscheiden wir die vielfältigen Wirkungen der Terpentinverläufe, die die Farben anlösen und das Muster der Leinwand in die Gestaltung einbringen.

    Auf der Treppe hinunter begegnen wir den „Jumping waves“ (2007) im Übergang zu technischen Antriebswellen oder kreisenden Scheiben. Die diffusen Komplexe werden durch das Aufabauf des Pinsels, durch matte weiße Partien und bizarre schwarze Sprengsel hervorgehoben und lassen das eine oder andere aus einem Fischkopf starrende Auge sehen.

    Die Rhythmik des Farbauftrags vermittelt uns Stimmungen, wie in „Fluid“ (2020): Da ist ein ruhiges blauflüssige Rinnen mit roten Einmischungen, eine regelmäßige meditative Stempelung waagerechter Linien, und eine kraftvolle Übermalung, die das Raster aufhebt.

    In „Blue velvet“ (2019) dagegen ergibt sich durch samtige Unschärfen die Weichzeichnung eines futuristischen Bauwerks oder Gefährts, das unsere Phantasie auf Raumflüge schickt.

    Wort und Bild stehen bei Ernst-Martin Heel in einer bereichernden Wechselwirkung der Assoziationen, die uns besonders bewusst wird bei der kleineren Arbeit mit dem langen Titel

    „Als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt“ (2018).

    Mit Rilkes berühmtem Vers sieht unser wissender Blick die Stäbe; wir stellen uns vor, wie „der Panther“ seine Reise durch den ihm verbliebenen Zeit-Raum bis zur Erschöpfung und Erblindung betreibt, und wir erleben aus der Innensicht das Zerrinnen der Außenwelt, die in der Seele des gefangenen Wesens gänzlich erlischt.

    Ebenfalls auf der schwarzen, der „literarischen“ Wand finden wir eine Hommage an „Diotima“ (2000), die Seherin, die Sokrates, so berichtet er im platonischen Dialog „Symposion“, über den Eros aufklärt als die Liebe zu dem Schönen und als Vermittler der Weisheit.

    Ein dunkles Kelchsymbol für das ewig Weibliche, Hinanziehende und eine darin gebettete Herzform bestimmen die Mitte, um die ein Kranz starker Emotionen zu sprudeln scheint, die auch spätere Dichter und Denker in ihren Bann zogen wie Friedrich Hölderlin, der seine Geliebte nach der Philosophin nannte.

    Die flutenden Bilder des Triptychons „Floating“ (2014) entwickeln sich aus einer starken inneren Dynamik von rollenden Rädern und sich überschlagende Wogen, sich konzentrierend in Wirbeln und auflösend in Spritzern, teils das Wolkenschwarz reflektierend, teils das Landesgrün tragend und immer die Himmelsluft quirlend.

    Auch diese Arbeiten sind Teil eines interdisziplinären Gesamtkunstwerks, mit dem Ernst-Martin Heel und der Komponist Markus Schönewolf die Grenzen zwischen Malerei, Dichtung und Musik überbrücken.

    Nachhaltige Faszination übt die hochstrebende Architektur von „Tarawana“ (2010) aus, eine in Grün und Rot allmählich verwunschen gewaschene Höhlen-Kathedrale, an deren schmalen Toren und Türmen ein Schwarm von Meerestieren weiß über blauen Schatten vorüberzieht als Teil eines Rings, der als Emblem über allem liegt.

    Und im letzten – oder ersten – Raum lockt uns das Motiv der Einladung mit leicht vibrierenden Konturen in einem von Wind flüchtig gekräuselten Wasser, das „Spiegelungen“ (2020) zur Schwingung bringt: gelbe und grauschwarze Verläufe wie von in der Hitze flirrenden Pfahlbauten über einem See.

    Da zu passt „Burning amber“ (2020), brennender Bernstein, dessen vor allem senkrechte Gliederung dem ursprünglichen Fließen der Baumsäfte entspricht. Das weite Ockerspektrum der Farben von Honiggold bis Sienatönen könnte direkt aus den Pigmenten des Harzes gewonnen sein, in dem sich uralte Lebensspuren erhalten haben, Erinnerungen, die nun in dichten Streifen weißen Rauchs aufgehen.

    Die gestischen Werke Ernst-Martin Heels oszillieren zwischen Abstraktem und Konkreterem

    und entfalten sich in ihrer malerischen Genese ebenso wie in unserer Wahrnehmung.

    Gesehenes, Gefühltes und Gedachtes verbinden sich zu einer intensiven Erfahrung, zu der ich Ihnen viel Vergnügen wünsche.

    Schwarzbachgalerie Wuppertal, 25. Oktober 2020

    ©2020 Dr. Jutta Höfel